Die Welt als Schulzimmer

Eine der ersten Fragen zu unserer Reise war stets: "Und wie geht denn das mit der Schule?“ Aus der einstigen Bildungsmöglichkeit für alle ist das Schulobligatorium entstanden. So hat die Schule hierzulande einen derart hohen Stellenwert, dass wir uns ein Leben ohne diese kaum mehr vorstellen können.

Durch unsere Abmeldung in der Schweiz haben wir uns entschieden für ein Jahr ohne Schulpflicht zu reisen, d.h. Mara unterwegs nicht zu unterrichten. Stattdessen wollten wir offen sein für Sprachen (Englisch), Geschichte, Religionen, Geographie, Völkerkunde... und einfach aus dem Leben lernen, wann und wo immer etwas auf uns zukommt.

 

Ganz ohne Schulhefte sind wir dann doch nicht abgereist. Nebst Farbstiften und Zeichenpapier fanden dann ein Matheheft, Matherätsel und der Assimil Englischkurs (Buch und Adio-CD) Platz in unseren Rucksäcken. Mit unserer elterlichen Fürsorge wollten wir Mara ja auf dem laufenden halten und, so glaubten wir, wächst unterwegs bestimmt die Lust ab und zu etwas "für die Schule“ zu arbeiten.

 

Voller Tatendrang hatten wir die Idee, als Familie täglich 15 Min. gemeinsam Englisch zu üben. Dies löste bei Mara aber keine Begeisterung aus: „Ich lerne Englisch so wie ich möchte und nicht mit diesem doofen Buch. Vielleicht kann ich diese Sprache schon bald besser als ihr!“ Die Mathehefte wurden nur um einige Resultate reicher. Da nützte alle Motivation, dass Rechnen sehr spannend sein kann, dass die Schulfreunde zu Hause dieselben Aufgaben lösen, dass man Rechnen im Leben braucht und dass wir die vollen Hefte entsorgen und nicht mehr tragen müssen kaum etwas. Mara wollte auch hier auf Ihre Art weiterkommen. Währungen und Zeiten umrechnen, beim Einkaufen das Rückgeld kontrollieren etc. war für Mara ein Spiel, das sie täglich mit viel Freude ausübte. Auch bei Spielen wie z.B Yatzy oder Jassen war Rechnen nie mit Widerstand verbunden.

 

Während unseren ersten 8 Wochen Outdoorleben in Kanada und Australien befassten wir uns intensiv mit der Tierwelt dieser Länder und dem Leben in freier Natur. Die Kultur der Indianer wie auch der Aborigines liess uns immer wieder voller Achtung über das Wissen dieser naturverbundenen Ureinwohner staunen und begeisterte auch Mara. Das Kochen auf offenem Feuer war für sie eine Herausforderung, der sie sich gerne stellte. So hat sie sich selber immer wieder auf`s Neue zum Ziel gesetzt mit nur einem Streichholz und in möglichst kurzer Zeit ein loderndes Feuer hinzukriegen. Auch das Kochen und Wäschewaschen in unserem faltbaren Becken war für sie eine freudige Sache.

Nach einem erfolgreichen Fischfangtag mit einer selbstgebauten Fischfalle entschloss sich Mara „ihre Fischfangtechnik“ aufzuzeichnen und zu beschreiben. Auch wollte sie ein Blatt über Bären gestalten, ein Kanadaplakat malen, aus verschiedenen Prospekten die Tiere Kanadas ausschneiden usw.. So entstand nach und nach ihr eigenes Kanadaheft.

 

Im ersten halben Jahr gab es kaum ein Tag an dem unsere Tochter nicht die Farbstifte zur Hand nahm. Stundenlang hat sie gezeichnet, mit Erde und Wasser Farben gemischt und so die wunderbarsten Bilder gemalt. In Vietnam setzte sie sich für mehr als 1 Stunde auf den Randsteig neben 4 Strassenkünstler und malte ein Portrait von Thomi. Dann gab es eine Zeit, in der Mara für alles und jedes eine Tabelle erstellte: Lieblingslieder aller Familienmitglieder, Ausgaben und Haben ihres Feriengeldes, „Wüste Wörter-Liste“ etc..

Auf jedes unserer Reiseziele haben wir uns durch die Auseinandersetzung mit der Geschichte, Kultur, Religion und Sprache bewusst vorbereitet. Wir besuchten lokale Handwerkbetriebe, eine Eisenerzmine, Salz- und Reisfelder, Museen, Schulen, unzählige Märkte, Bibliotheken, Tempel und Pagoden etc.. Da wir so oft als möglich Unterkünfte bei Einheimischen suchten kamen wir in jedem Land dem Lebenspuls des Volkes nah und die Themen wurden dadurch lebendig und fassbar. Auch wenn es Mara und uns manchmal an Verständis für die Praktiken der verschiedenen Religionen mangelte, wurde sie zunehmend sensibler und offener dafür. Sie hinterfragte alles, auch den unsrigen christlichen Glauben und es entstanden oft interessante, philosopische Diskussionen.

 

Das Leben bei und mit Einheimischen bot uns stets die Möglichkeit, einiges über die Ess- und Kochgewohnheiten, den Lebensrhythmus, die familiären sowie landesweiten Gewohnheiten, die Politik, Rituale.... zu erfahren. Meist konnten wir in der Küche, auf dem Feld und Hof mithelfen. Wir lernten die Wirkung der verschiedenen Lebensmittel und Kräuter kennen, durften in einfachsten Küchen die besten Menus mitkochen, konnten erste Versuche am Webstuhl machen, aus Bananenblättern Schalen falten, aus Bambus kleine Körbe und Pfannenuntersetzer flechten etc.. Mara wurde immer liebevoll aufgenommen und war jederzeit gerne mit dabei. Der Einsatz auf Farmen die wir über helpx gefunden haben ermöglichte uns, nebst dem Einblick in das „echte Leben„ auch einiges über die Permakultur, das Arbeiten mit Tieren und das Improvisieren als Handwerkerlaien kennen. Elektro- und Wasserleitungen legen und das Fundament eines Hauses bauen waren uns Erwachsenen vorbehalten, doch auch hier war Mara stets mit dabei. Die Zusammenarbeit mit Volontärs aus der ganzen Welt machte ihr sichtlich Spass. Überall war sie der Star im Team. Sie lernte sich in Englisch wie auch Deutsch zu unterhalten und wurde zunehmend selbständiger und unabhängiger. Sie liebte es, in dieser Zeit auch einmal ohne uns Eltern unterwegs zu sein: Gemeinsam mit den Volontärs auf dem Markt einkaufen, Gras für die Hasen schneiden, Schweinefutter holen usw. - all dies gab ihr ein Stück Freiheit (Arbeiten auf einer Tierfarm). Dass sie mit unserer Unterstützung die Verantwortung für ein neugeborenes Lamm, das von seiner Mutter nicht angenommen wurde übernehmen durfte, war eine ganz besondere Sache. Mit grossem Engagement kümmerte sie sich um das Wohl der kleinen "Mara".

In Nordthailand durfte Mara für eine Woche eine Schule besuchen, während wir im Garten wühlten, ansääten und die täglich anfallenden Arbeiten auf dem Hof erledigten. Auch wenn Mara nur sehr wenig thailändisch verstand, so hat sie doch die Andersartigkeit des Schulsystems erlebt (Schulwoche in Mae Sap). Sie war herzlich aufgenommen und die Schulkinder kamen nach Schulschluss jeweils zu uns zum Spielen.

Ebenfalls in Thailand durfte Mara in der Chetawan Massage School mitdabei sein. Gemeinsam besuchten wir einen Wochenkurs für traditionelle thailändische Fussreflexszonenmassage. Auch wenn ihr das Massieren von Morgens bis Abends manchmal zuviel wurde, war sie doch jeden Tag erneut mit Begeisterung dabei.

 

Mara meinte schon nach einigen wenigen Monaten, dass sie nun bestimmt auch alleine um die Welt reisen könnte. Sie zählte uns all ihre Kompetenzen auf :„Ich kann alleine einkaufen, Feuer machen, kochen, spreche Englisch, weiss viel über das Leben in der Natur, kenne Kräuter, Tees und wilde Beeren, weiss wie man ein Zelt aufstellt und brauche nicht viel Geld zum Leben. Ich kann auf der Strasse meine Künstlerbilder, Zeichnungen und geflochtenen Armbänder verkaufen. Mit dem Geld kann ich mir dann einen Fahrer leisten oder Bus- und Zugtickets kaufen wenn ich an einen anderen Ort möchte.“ - Lebensschule pur!

 

Sandra

„Ich verzichte auf alle Weisheit, die nicht weinen, auf alle Philosophie, die nicht lachen, auf alle Grösse, die sich nicht beugen kann – im Angesicht von Kindern.“


Kahlil Gibran (1883 – 1931)