Entdecke wer du bist. So etwa kann man die Visionssuche in wenigen Wörtern umschreiben. Visionssuchen haben eine alte Tradition. Praktisch auf allen Erdteilen war ein solcher Initiationsritus in der Gesellschaft fest verankert. Bei den Indianern hatten junge Männer eine Zeit alleine in der Natur zu überstehen, bevor sie erwachsen zum Stamm zurückkehrten. Aber auch bei anderen Lebensübergängen oder –krisen konnten diese Riten helfen, anstehende Veränderungen anzunehmen.
In unserer modernen Gesellschaft fehlen solche Rituale weitgehend. Krisen und Übergänge müssen von den Menschen oft alleine überwunden werden.
Die Vorbereitung zur Visionssuche umfasste unter anderem einen Absichtsbrief. Darin mussten die Gründe für die Teilnahme mitgeteilt werden. Ausserdem hatte jeder eine Medizinwanderung zu bestreiten, das heisst einen Tag fastend in der Natur zu verbringen. Dabei geht es auch darum, seiner Intuition zu vertrauen, ihr zu folgen und auf die oft unscheinbaren Botschaften zu achten.
Die 12er-Gruppe traf sich im Tipi-Lager im bündnerischen Feldis. Unser Rucksack wurde glücklicherweise mit dem Pickup abgeholt. Gemeinsames Kennenlernen und Besprechungen wurden in Form von sogenannten Councils abgehalten. Wie in Indianderfilmen sassen wir oft im Kreis und gaben den Sprechstab in Form eines Symbols weiter. Dreinreden wurde damit weitgehend verhindert. Eine Praxis, die auch im Alltagsleben viel verändern und beruhigen könnte.
Während vier Tagen wurden wir auf die Solozeit vorbereitet. Mit Rucksack und Tarp ausgerüstet, verbrachte danach jeder Teilnehmende weitere vier Tage und Nächte alleine im Freien, ohne Ablenkungen wie Bücher, Handys usw.. Wer noch unsicher war, lernte sein Tarp so aufzuspannen, dass es auch bei Sturm und Regen genügend Schutz gewährt, speziell vor Kälte und Nässe. Jeder entwickelte zudem einen persönlichen und möglichst prägnanten Visionssatz. Schliesslich suchten wir uns im weitläufigen Gelände einen passenden Platz für die nächsten Tage. Auch hier liessen wir uns möglichst von unserem Gefühl leiten.
Das Sicherheitskonzept bestand darin, dass zwei oder drei Teilnehmer jeweils an einem vereinbarten Ort täglich einen Stein setzten und sich damit gegenseitig kontrollierten. Der Stein hatte die Bedeutung, dass alles in Ordnung ist. Die vier Tage wurden schliesslich zu einer Reise zu sich selbst. Das Erlebte wurde von den erfahrenen Coaches auf eindrückliche Art und Weise gespiegelt, so dass jede(r) sich darin wiedererkennen und vieles klarer wurde. Eigene Wahrheiten sind viel echter als Rat-schläge von einem Berater oder einer anderen Drittperson.
Nur schon vier Tage alleine in der Natur zu leben veränderte meine Sichtweise erstaunlicherweise sehr stark. Nach der Überwindung der anfänglichen Unsicherheiten und Ängste konnte ich die unmittelbare Schönheit der Natur voll geniessen. Für Ende Mai war es sehr warm, so dass ich zahlreiche Ausflüge auf den höchsten Punkt mit prächtiger Weitsicht oder zum Baden im erfrischenden Bergsee unternahm. Die letzte Nacht blieb ich wach und bestaunte die unzähligen Sterne und Sternschnuppen am klaren Himmel. Ein Feuer schenkte mir Wärme und ein sicheres Gefühl.
Die grösste und spannendste Herausforderung steht aber noch bevor, nämlich die Umsetzung in den Alltag. Sollte dies nicht immer gelingen, waren es immerhin wunderbare Sonnentage inmitten der Bündner Berge. Dem ganzen Wonjya-Team danke ich für diese unvergesslichen Tage.
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Thomas